Buddhistische Gemeinschaft Schweiz

 



Das Verhältnis buddhistischer Gemeinschaften zum demokratischen Rechtsstaat und zu andern Religionen

Autor: Rolf Hafner

Zusammenfassung

Aufgrund der in Art. 15 BV garantierten Religionsfreiheit ist es problematisch, dass auch juristische Personen und damit indirekt deren wirtschaftliche Eigentümer unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit Kirchensteuern bezahlen müssen.  

Die Schweiz trifft gemäss Art. 72 Abs. 2 BV die zur Wahrung des Religionsfriedens nötigen Massnahmen. Im Unterschied zu Koran und Bibel ist es nicht möglich, buddhistische Texte so zu interpretieren, dass sich daraus irgendwelche Formen von Gewaltanwendung rechtfertigen liessen. Konflikte mit anderen Religionen sind daher unwahrscheinlich. Einwanderer und Flüchtlinge aus buddhistischen Ländern respektieren die gesellschaftlichen Regeln der Schweiz und sind im Allgemeinen gut integriert. Die Wahrung der Menschenrechte und der Fundamente unseres demokratischen Rechtsstaates gehen der Religionsfreiheit vor. Beschränkungen der Religionsausübung zur Wahrung der Laizität der staatlichen Institutionen sind unbedenklich, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind (Art. 5 Abs. 2 BV).

Der Buddhismus kennt weder einen Märtyrerkult noch Blasphemie oder Ketzerei. Buddha hat selbst gefordert, seine Lehre kritisch zu überprüfen. Es ist wünschenswert, dass der Staat an den öffentlichen Schulen Wissen über die verschiedenen Religionen (sog. „teaching about religion“) vermittelt, wie das im Kanton Zürich geplant ist. Der Unterricht soll die freie Meinungsbildung ermöglichen und darf daher durchaus religionskritisch sein.

Die buddhistischen Klöster in der Schweiz setzen sich aktiv für die Integration ihrer Mitglieder in die schweizerische Gesellschaft ein. Sie tragen daher zur Gestaltung einer freien und friedlichen Gesellschaft bei.   

Résumé

Etant donné l’art. 15 Cst. féd., garantissant la liberté religieuse, il est problématique que des personnes juridiques, et donc indirectement leurs propriétaires économiques, indépendamment de leurs appartenances religieuses, payent l’impôt ecclésiastique.

La Suisse, conformément à l’art. 72 al. 2 Cst. féd. prend les mesures nécessaires pour garantir la paix religieuse. Au contraire du Coran et de la Bible, il est impossible d’interpréter des textes bouddhistes de telle manière, qu’apparaisse une justification de quelque forme de violence que ce soit. Des conflits avec d’autres religions sont donc peu probable. Les immigrants et réfugiés provenant de pays bouddhistes respectent les règles sociétales en vigueur en Suisse et sont généralement bien intégrés. La sauvegarde des droits de l’homme et des fondements de notre état de droit démocratique prend le pas sur la liberté de religion. Des restrictions touchant à l’exercice religieux sont sans danger, lorsqu’elles sont décidées en vue de l’intérêt public et qu’elles sont proportionnelles (art. 5 al. 2 Cst. féd.).

Le bouddhisme ne connaît ni culte du martyr ni blasphème, pas plus qu’hérésie. Bouddha lui-même a exigé que son enseignement soit examiné de manière critique. Il est souhaitable que l’Etat offre un savoir concernant les différentes religions (appelé « teaching about religion ») dans le cadre de l’école publique, ainsi que cela est prévu dans le canton de Zurich. Les cours doivent permettre une libre formation de l’opinion et peuvent sans autre être critiques envers les religions.

Les monastères bouddhistes en Suisse agissent activement à l’intégration de leurs membres dans la société suisse. Ainsi ils participent à la formation d’une société libre et paisible.

Die Bedeutung des Staates Schweiz für die Buddhistischen Gemeinschaften

Die Schweiz als demokratischer Rechtsstaat ist für die buddhistischen Klöster und Gemeinschaften (Vereine und Stiftungen) von sehr grosser Bedeutung. Die Schweizerische Eidgenossenschaft garantiert in Artikel 15 der Bundesverfassung die Religionsfreiheit, d.h. jeder Angehörige einer Religionsgemeinschaft hat das Recht, seine Religion im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung, d.h. unter Respektierung der Gesetze unseres Staates frei auszuüben.

Was der Staat Schweiz und die anderen westlichen Demokratien für uns Buddhisten bedeuten, weiss, wer einen Blick auf die Verhältnisse in kommunistischen Diktaturen und sogenannten Gottesstaaten wirft. Dort ist die Religionsfreiheit nicht garantiert und kann die buddhistische Religion nicht frei praktiziert werden. Im Islam beispielsweise gelten Buddhisten und Hindus schlicht als Ungläubige, da sie im Unterschied zum Juden- und Christentum im Koran nicht vorkommen und daher auch nicht den diesen beiden monotheistischen Religionen zugebilligten Toleranzstatus geniessen.

Der schweizerische Staat (Bund, Kantone und Gemeinden) behandelt aber nicht jede Religion gleich. Aus historischen Gründen und aufgrund der Mehr­heits­ver­hält­nisse haben die drei christlichen Konfessionen, insbesondere die römisch-katholischen und evangelisch-protestantischen Kirchgemeinden je nach Kanton eine bevorzugte Stellung. Der Staat räumt ihnen in ihrer Eigenschaft als öffentlich­rechtliche Körperschaften gewisse Privilegien ein. So zieht beispielsweise der Kanton Zürich für sie Steuern ein und bezahlt einen Teil der Pfarrerlöhne.

Aus der Sicht der Religionsfreiheit ist es diesbezüglich problematisch, dass auch juristische Personen und damit indirekt auch deren wirtschaftliche Eigentümer unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit Kirchensteuer bezahlen müssen. Dies lässt sich entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 102 Ia 468, 126 I 122)  u.E. mit der Religionsfreiheit nicht vereinbaren, führt dies doch dazu, dass buddhistische Unternehmer letztendlich die christlichen Kirchen mitfinanzieren. (1)

(1) „In der Lehre lehnt eine Mehrheit der Autoren die Kirchensteuerpflicht von juristischen Personen – unseres Erachtens zu Recht – als verfassungswidrig ab.“ (Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl. 2001, S. 125, N 421)

Der Staat garantiert auch den sogenannten Religionsfrieden, d.h. er sorgt dafür, dass die verschiedenen Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft friedlich miteinander auskommen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit (2). Allein der Staat und nicht eine Religion kann dies garantieren, wobei gemäss Art. 72 Abs. 2 BV sowohl Bund wie auch Kantone ermächtigt sind, die nötigen Massnahmen zur Wahrung des Religionsfriedens zu treffen.

(2) vgl. Cavelti, Kommentar die schweizerische Bundesverfassung,  2002, N 16 zu Art. 72

Für die buddhistischen Gemeinschaften stellt das friedliche Auskommen mit anderen Religionen in der Schweiz kein Problem dar. Potentielle Konflikte mit anderen Religionen sind keine ersichtlich und waren in der Schweiz auch nie ein Thema. Dies hat verschiedene Gründe.

Zunächst ist der Buddhismus nicht missionarisch ausgebildet wie zum Beispiel das Christentum oder der Islam. Im Verhältnis zu anderen Religionen steht für einen Buddhisten der Respekt gegenüber den Überzeugungen anderer im Vordergrund. Buddhisten sind daher grundsätzlich tolerant. Sie sind aber nicht verpflichtet, die Inhalte anderer Religionen zu respektieren, wenn sie diese als unheilsam erkennen. So wird selbstverständlich jede Form von Gewaltanwendung zur Durchsetzung religiöser Ziele von Buddhisten abgelehnt. Im Unter­schied zu Koran und Bibel ist es nicht möglich, buddhistische Texte so zu interpretieren, dass sich daraus irgendwelche Formen von Gewaltanwendung (wie z.B. heilige Kriege und Kreuzzüge) rechtfertigen liessen. Die buddhistische Welt kennt auch keinen Märtyrerkult. Erst recht nicht in Frage kommt es für einen Buddhisten, andere Menschen zu ihrem (vermeintlichen) Glück zwingen zu wollen. Aus diesen Gründen sind Konflikte mit anderen Religionen von vornherein wenig wahrscheinlich.

Als anerkanntermassen friedfertige und tolerante Religion geniesst der Buddhismus sodann in den Medien im allgemeinen eine wohlwollende Bericht­er­stattung. Auch einige Filme haben viel zum guten Image des Buddhismus beigetragen, und dem Friedensnobelpreisträger Dalai Lama, einer sogenannten Ikone des Buddhismus, bringen die Schweizer meist viel Sympathie entgegen. Hinzu kommt, dass die Einwanderer und Flüchtlinge aus buddhistischen Ländern (Tibeter, Kambodschaner, Thailänder usw.) unsere gesellschaftlichen Regeln respektieren und im allgemeinen gut integriert sind.

Im Unterschied zu anderen neu in der Schweiz vertretenen Religionen, wie zum Beispiel dem Islam, kennt der Buddhismus keine Regeln, die mit den herkömmlichen Sitten und Gebräuchen oder den Anforderungen unserer Gesellschaft in Widerspruch stünden. So kennt der Buddhismus weder Bekleidungsvorschriften noch Vorstellungen, welche eine völlige Gleichstellung der Frauen oder von sexuellen Minderheiten ausschlössen. Aus diesen Gründen hat der Buddhismus ein im allgemeinen gutes Ansehen innerhalb der christlichen Bevölkerungsmehrheit in der Schweiz.

Direkte Auswirkungen auf Religionsgemeinschaften zeigt die staatliche Garantie des Religionsfriedens, wenn zur Aufrechterhaltung des Religionsfriedens staatliche Beschränkungen der Religionsausübung erlassen werden, wie z.B. die vom französischen Parlament zur Wahrung der Laizität der staatlichen Institutionen, insbesondere von Schulen und Spitälern, erlassenen Vorschriften (das sog. Kopftuchverbot). Sofern solche Beschränkungen im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind (Art. 5 Abs. 2 BV), sind sie unbedenklich. Es steht ausser Frage, dass die Wahrung der Menschenrechte und der Fundamente unseres demokratischen Rechtsstaates der Religionsfreiheit vorgehen. Wo immer unter Berufung auf die Religionsfreiheit zentrale Werte unseres Rechtsstaates angegriffen und unter Berufung auf absolute Glaubenssätze missachtet werden, muss staatlich eingegriffen werden. Aus der Sicht der buddhistischen Gemeinschaften stellen sich diesbezüglich keine Probleme.

Aufgrund der Kerninhalte der buddhistischen Lehre lassen sich auch zu aktuellen Themen, wie Stammzellenforschung, pränatale Diagnostik, Invitro-Fertilisation usw., unterschiedliche Auffassungen vertreten. Der Buddhismus kennt keine Dogmen, denen ein Angehöriger sich zu unterwerfen hätte oder die er dank ihres angeblich göttlichen Ursprungs als sakrosankt hinzunehmen und einzuhalten hätte und die den schweizerischen Gesetzen vorgehen würden. Unter Berufung auf den Buddhismus kann daher weder die schweizerische Rechtsordnung noch das staatliche Gewaltmonopol in Frage gestellt werden. Damit ist bereits klar, dass die buddhistischen Gemeinschaften nur am Rande von zur Wahrung des Religionsfriedens möglicherweise nötigen Ein­schränkungen der Religionsfreiheit betroffen wären.

Der Buddhismus kennt auch keine Blasphemie oder Ketzerei. Im Gegenteil, kritische Überprüfung der Lehre wurde von Buddha selbst gefordert. Im Gegensatz zu anderen Religionen haben buddhistische Gemeinschaften daher keine Probleme mit der kritischen Hinterfragung ihrer Lehren auch durch Angehörige anderer Religionen.

Der Staat Schweiz hat für Buddhisten schliesslich insofern eine grosse Bedeutung, als er es den Jugendlichen dank der frühen religiösen Mündigkeit von 16 Jahren (Art. 303 Abs. 3 ZGB) und der Menschenrechte ermöglicht, seine Religion frei zu wählen oder keiner Religion anzugehören. Seit langem kann kein Schüler in der Schweiz gezwun­gen werden, einen Religionsunterricht (ein sogenanntes „teaching in religion“) zu besuchen. Religiöse Indoktrination der Kinder durch den Staat ist damit in der Schweiz nicht vorhanden. (3)

(3) Dies ergibt sich auch aus Art. 15 Abs. 4 BV in Verbindung mit Art. 62 Abs. 2 BV.

Wünschenswert ist es aber, dass der Staat an den öffentlichen Schulen Wissen über die verschiedenen Religionen (ein sogenanntes „teaching about religion“) vermittelt, wie das zur Zeit im Kanton Zürich mit der Einführung des obligatorischen Faches „Religion und Kultur“ an der Oberstufe geplant ist. Dieses Unterrichtsfach soll die Schüler über die wichtigsten Inhalte der fünf Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus) informieren und so die freie Meinungsbildung ermöglichen. Dies wäre insbesondere für die buddhistischen Gemeinschaften in der Schweiz wichtig, da viele ihrer Mitglieder als Erwachsene bewusst und oft nachdem sie sich mit verschiedenen Religionen auseinandergesetzt hatten, zum Buddhismus finden.

Ein solcher Unterricht kann zum gegenseitigen Verständnis der Religionen beitragen und damit ein friedliches Zusammenleben fördern. Der Unterricht darf dabei durchaus religionskritisch sein und unheilsame Effekte oder missbräuchliche Interpretationen gewisser Inhalte (z.B. die frühere Inquisition im römischen Katholizismus oder die aktuelle Gewaltanwendung im Islamismus) zur Diskussion stellen.

Der Beitrag Buddhistischer Gemeinschaften zum öffentlichen Allgemeinwohl

Um zu verstehen, welchen Beitrag die buddhistischen Gemeinschaften für das öffentliche Allgemeinwohl leisten können und ohne Frage auch dürfen, müssen einige wichtige Inhalte der buddhistischen Lehre (dhamma) kurz erläutert werden.

Die im Arbeitstitel gestellte Frage lässt einen christlichen Ansatzpunkt erkennen, nämlich denjenigen der tätigen christlichen Nächstenliebe, der caritas, versinnbildlicht in der erst kürzlich seelig gesprochenen Person von Mutter Theresa. Dieser Ausdruck christlichen Glaubens  ist zweifellos eine seiner grossen ethischen Stärken. Die Christen sind aufgerufen, die sozialen Verhältnisse aktiv zu verbessern und materielle menschliche Not zu lindern.

Aus der buddhistischen Lehre lässt sich kein der tätigen Nächstenliebe gleichbedeutendes gesellschaftliches Engagement herleiten. Im Buddhismus finden sich die Begriffe der liebevollen Güte (metta) und des Mitgefühls (karuna) mit der leidenden Kreatur. Nach buddhistischer Lehre ist die menschliche Existenz leidvoll. Alter, Krankheit und Tod sind Grund­be­dingungen des Lebens. (4)

(4) „Wir mögen unser Leben noch so gekonnt managen, mögen der Welt unser Gut-drauf-Sein noch so überzeugend präsentieren – wir haben doch immer wieder mit Verhasstem  zu tun und werden doch immer wieder von Geliebtem getrennt. Wir bekommen doch nicht, was wir wollen, und bekommen, was wir nicht wollen.  Gewiss wir erleben Freude, Erfolg, Liebe, Lust. Aber am Ende sind wir doch wieder der Angst ausgesetzt“ (siehe Stephen Batchelor, Buddhismus für Ungläubige, Fischer Verlag, 8. A. S. 37).

Auch die besten wirtschaftlichen und materiellen Verhältnisse, der bestens ausgebaute Sozialstaat ändern nichts an der Tatsache, dass wir alt und krank werden und einmal sterben werden. Alle Daseinselemente sind unbeständig (anicca). Diese Tatsachen halten sich Buddhisten immer vor Augen. Buddhisten neigen daher eher zur Kontemplation und zum zeitweiligen Rückzug (sog. retreats) aus den Mühen des Alltags. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Meditation eine der Empfehlungen des Achtfachen Pfades zur Überwindung der leidvollen Aspekte der menschlichen Existenz darstellt. Gleichmut und Gelassenheit (ubbekha) ist einer der anzustrebenden sogenannten Edlen Verweilungszustände. Nicht Kampf und aktives Engagement für eine bessere Welt, sondern Reflexion über die Ursachen menschlichen Leidens (Hauptursachen: Hass, Gier und Verblendung) stehen im Vordergrund. Die buddhistische Lehre fordert deshalb, den nüchternen Verstand zu gebrauchen und sich nicht illusionären Hoffnungen hinzugeben. Der Buddhismus lehrt zu erkennen, wie die Dinge wirklich sind und nicht wie man sie gerne hätte. Hilfreich ist dabei die Lehre vom Erkennen der Unpersönlichkeit aller Phänomene, die Lehre vom Nicht-Selbst (anatta), d.h. vom Nichtvorhandensein eines beständigen Wesenskerns (Seele). (5)

(5) „Wer die Unpersönlichkeit des ganzen Daseins nicht durchschaut hat  und nicht erkennt, dass es in Wirklichkeit nur diesen beständig  sich verzehrenden Prozess des Entstehens und Vergehens geistiger  und körperlicher Daseinsphänomene gibt, aber keine Ich-Wesenheit  in oder hinter diesen Daseinserscheinungen, der ist ausserstande,  die vier Edlen Wahrheiten im richtigen Licht zu erfassen“  (Nyanatiloka, Buddhistisches Wörterbuch, Verlag Chrstiani, Konstanz, 1983, S. 25).

Buddha lehrte, dass der Mensch sich selbst befreien muss. Fatalismus ist ihm fremd. (6) Da die eigene Situation in vieler Hinsicht von den gesamtgesellschaftlichen Zuständen abhängt, ist es aufgrund der Lehre von der Bedingten Entstehung (paticcasamuppada) empfehlenswert, seine Kräfte auch für das öffentliche Allgemeinwohl einzusetzen und sich um gerechte Verhältnisse zu bemühen.

(6) „Die Individuen haben die Freiheit, sich früheren „Konditionierungen“ zu entziehen und neue Verhaltensmuster zu entwickeln: Genau darum geht es, wenn man Buddhist werden will.“  (Damien Keown, Der Buddhismus, Reclam, 2002, S. 53)

Wenn Buddhisten sich engagieren, stellen sie aber selten ihre Religion in den Vordergrund. Denn ein Buddhist handelt nicht wie beispielsweise ein Christ oder Muslim missionarisch, z.B. unter Berufung auf einen göttlichen Auftrag oder in der Hoffnung auf eine Belohnung im Jenseits, sondern weil dies nach dem Gesetz des Kamma (skr. Karma), dem Gesetz von Ursache und Wirkung, sinnvoll und notwendig ist. Er weiss, dass alle seine Taten und die damit verbundenen Absichten im gegenwärtigen Leben Folgen haben, welche sich nicht nur auf die direkt anvisierten Individuen sondern auch gesamtgesellschaftlich auswirken. Alle seine Absichten und Handlungen wirken auf ihn zurück. Der Mensch ist der Erbe seiner Taten. Wenn er gütig und mitfühlend handelt und sich um verständnisvolle und friedfertige Beziehungen in Familie und Arbeitswelt bemüht, so fördert er mit dieser Handlungsmaxime auch das Allgemeinwohl.

Zudem lernen Buddhisten, sich mit den Mitmenschen zu freuen, wenn es diesen gut geht und sie Erfolg haben. Mitfreude (mudita) zu entfalten, ist eine weitere von Buddhisten anzustrebende Eigenschaft. Wir entwickeln nicht nur Mitgefühl mit den von Unglück betroffenen Nachbarn, sondern freuen uns mit ihnen, wenn es ihnen gut geht. Diese Qualität – ein Korrektiv von Neid und Missgunst – wirkt sich ebenfalls positiv aufs Allgemeinwohl aus. Eine wohlwollende, in Freud und Leid anteilnehmende Grundeinstellung zu den Mitmenschen machen aus den Buddhisten verträgliche Zeitgenossen, welche so zu einem gesamtgesellschaftlich friedlichen Klima beitragen.

Ein Beispiel für einen Zusammenschluss von Buddhisten, welche sich aktiv für das Gemeinwohl einsetzen, stellt das International Network of Engaged Buddhists dar. Das Netzwerk hat heute Mitwirkende in über 30 Ländern und umfasst ca. 400 Einzelpersonen und Vertreter beteiligter Gemeinschaften. Schwerpunkte der Arbeit sind u.a. die Förderung des Schutzes und der Bewahrung der ökologischen Lebens­be­dingungen des Menschen und der Existenzrechte von Tieren, Pflanzen und natürlichen Ökosystemen sowie praktische Hilfe, Unterstützung und Solidarität für Menschen, die sich in materieller Not, wirtschaftlicher Ausweglosigkeit oder Unterentwicklung, sozialer oder gesundheitlicher Hilflosigkeit befinden. In buddhistischen Ländern, wie z.B. Thailand, unterhalten Klöster Drogenentzugsstationen, Krankenhäuser, Sterbehospize und Schulen.

Es gibt zahlreiche buddhistische Gemeinschaften in der Schweiz, welche sich konkret um das Allgemeinwohl verdient machen. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind beispielsweise das tibetische Kloster in Rikon (ZH) und das thailändische Kloster Wat Srinagarindravararam in Gretzenbach (SO). Vor kurzem wurde in Brugg (AG) das Zurich Buddhist Vihara mit Mönchen aus Sri Lanka gegründet. Alle diese Institutionen setzen sich aktiv für die Integration ihrer Mitglieder in die schweizerische Gesellschaft ein und dienen als Bindeglied zwischen Buddhisten aus den asiatischen Herkunftsländern und der Schweiz. Das theravadabuddhistische Kloster Dhammapala in Kandersteg (BE) steht jedem offen, unabhängig von seinem Glauben und seiner Herkunft, der spirituellen Rat und Unterweisung in Meditation sucht. Durch Aufklärung und Hilfe bei der Integration von Einwanderern tragen diese Gemeinschaften daher zur Gestaltung einer freien und friedlichen Gesellschaft bei.

Literaturverzeichnis

Batchelor, Stephen
Buddhismus für Ungläubige, 8. Aufl., Frankfurt a.M. 2003.

Cavelti, Urs Josef
Art. 72 BV, in: Ehrenzeller, Bernhard/Mastronardi, Philippe/Schweizer, Rainer J./Vallender, Klaus A.(Hrsg.) Die schweizerische Bundesverfassung, Zürich/Basel/Genf 2002.

Häfelin, Ulrich/Haller, Walter
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich 2001

Keown, Damien
Der Buddhismus: eine kurze Einführung, Stuttgart 2001.

Nyanatiloka
Buddhistisches Wörterbuch, Konstanz 1983.